Reden wir mal richtig übers Geld!

Ulrich Filler macht einen Vorschlag, wie die Finanzierung der Kirche auch aussehen könnte. Ein Experiment, in dem das Engagement der Gläubigen im Vordergrund steht.

Ende Juli hat sich Katharina Westerhorstmann zu Wort gemeldet. Die katholische Theologin, die den „Synodalen Weg“ begleitet, rief dazu auf, den Umgang mit dem skandalösen Missbrauchsskandal nicht für eine Liberalisierung der katholischen Sexualmoral zu instrumentalisieren, sondern die Aufarbeitung ernsthaft und dem wichtigen Thema angemessen voranzutreiben: „Anstatt sich auf die Anerkennung von außerehelichen Geschlechtsbeziehungen, Selbstbefriedigung, homosexuellen Handlungen, künstlicher Empfängnisverhütung und die Kommunionszulassung zivil verheirateter Geschiedener zu konzentrieren, sollte man verstärkt Missbrauchsfälle mit Missbrauchsfällen vergleichen, wie es etwa die Unabhängige Kommission der Bundesregierung tut. Dass darüber hinaus spezifisch kirchliche Aspekte des Missbrauchs thematisiert werden müssen, steht außer Frage.“ Ein begrüßenswerter Vorschlag, der in die richtige Richtung geht. Denn in der deutschen katholischen Kirche sehen wir in den Diskussionen des aktuellen „Synodalen Wegs“ das alte Phänomen: Die (deutschen) Katholiken machen das, was alle anderen auch machen – nur etwa zwanzig Jahre später. Anstatt sich in ewig gleichen und frustrierenden Diskussionen zu verlieren, sollte man etwas Neues wagen. Die notorische Konzentration der innerkirchlichen Diskussion auf Themen der Schlafzimmertheologie oder des Frauenpriestertums ist ermüdend und gerade für Außenstehende unattraktiv. Wann endlich kommen wir auf den Trichter und sagen: Okay, das katholische Angebot mag sich merkwürdig und weltfremd anhören. Aber es ist in unserer durchsexualisierten Gesellschaft mal eine echte und interessante Alternative. Hans Conrad Zander hat bereits vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass der große englische Sexualforscher Havelock Ellis die Entstehung des Zölibats in der antiken Welt des Römischen Reiches damit erklärt, dass die Sexgläubigkeit der späten Antike und der abgestandene und ordinäre Konformismus der Schamlosigkeit und allgegenwärtigen Pornographie so geistlos und vorgestrig waren, dass der Gedanke der Keuschheit einen revolutionären Reiz hatte. Nur deshalb habe er Europa erobern können, weil ihr der Zauber eines neuen Erlebnisses innewohnte, einer herrlichen Freiheit und eines ungeahnten Abenteuers. Hören wir auf, dem hinterherzulaufen, was vor zwanzig oder dreißig Jahren gesellschaftlich up to date war. Fangen wir an, Keuschheit, Schamhaftigkeit und den Zölibat des geweihten (männlichen) Priesters als spannende Alternative, als gesellschaftlichen Gegenentwurf zu sehen. Und vor allem: Beginnen wir endlich damit, eine gesellschaftlich wirklich interessante Diskussion anzustoßen, die vielen Katholiken auf den Nägeln brennt. Nehmen wir uns einer Frage an, die jeden beschäftigt, die auch die Fernstehenden aufhorchen lässt, bei der jeder mitreden kann und darf und die nicht durch dogmatische Vorentscheidungen beschränkt ist. Reden wir mal richtig übers Geld! Warum nutzt kein deutscher Bischof dieses Thema und wagt ein Experiment? Es könnte folgendermaßen aussehen: Es ergeht die Einladung zu einem großen „Kirchensteuer-Forum“. Jeder darf dabei sein und mitreden. Kritische Stimmen sind ausdrücklich willkommen. Auf diesem Forum werden verschiedene Aspekte der Kirchensteuer-Frage diskutiert: ihre Geschichte, ihre Vor- und Nachteile, ihre Konsequenzen für den Kirchenaustritt und die damit verbundene Exkommunikation. Es werden Finanzierungsmodelle aus der ganzen Weltkirche vorgestellt: Wie gehen Gemeinden in Afrika und Nordamerika, in anderen europäischen Ländern oder in Vietnam mit dem Geld um? Wie werden die Pfarrer bezahlt? Wie werden Kirchen gebaut? Man kann Etat-Diskussionen führen: Wie viel Geld braucht eine Gemeinde für welche Belange? Welche Töpfe muss es geben und wie werden sie gefüllt? Wie viel sollte so ein Pfarrer verdienen? Wie viel sollte jeder Gläubige für den Unterhalt der Kirche und seiner Pfarrei beitragen? Wie viel Transparenz ist dabei nötig?

In dieser Diskussion gibt es keine Denkverbote. Verboten sind nur Ausdrücke wie: Das geht doch nicht! Das haben wir noch nie gemacht! Das kann doch keiner bezahlen!

Und nach einer angemessenen Vorbereitungszeit, nachdem dieses Forum erste Ergebnisse geliefert hat, setzt der Bischof die Ideen in die Tat um: Er sucht sich ein Dekanat oder einen Pfarreienverbund, der bereit ist, ein Experiment zu wagen. Für einen gewissen Zeitraum von – sagen wir – fünf Jahren wird in diesem genau definierten Bezirk allen katholischen Christen die Kirchensteuer zurückerstattet. Jeder katholische Kirchensteuerzahler kann sich bei seinem Bischof melden und bekommt ohne großen bürokratischen Aufwand sein Geld zurück. Natürlich wird diese Aktion durch eine umfassende Informationskampagne und eine gründliche Aufklärung vorbereitet. Der Bischof überweist Ihnen Geld! Das ist Öffentlichkeitsarbeit, die ankommt. Und dann werden die „Ex-Kirchensteuer-Gemeinden“ nach einer vorab erarbeiteten Strategie versuchen, ihren Haushalt ohne Kirchensteuermittel des Bistums zu bestreiten, nur aufgrund des Einsatzes der Katholiken vor Ort.

Natürlich müsste man vorher die Rahmenbedingungen des Experiments klären und z.B. komplizierte Finanzierungsmodelle für Familienzentren, Kindertagesstätten, katholische Krankenhäuser und derartiges ausklammern. Es geht nur um die Frage, ob und wie eine Gemeinde ihre unmittelbaren finanziellen Bedürfnisse gestemmt bekommt und – damit verbunden – die Diskussion darüber, welche das sind.

Klar, dass sofort viele wichtige Fragen auftauchen, die in dieser Anregung nicht im Detail beantwortet werden können. Vielleicht wird es ein teurer Fehlschlag. Vielleicht landen Pfarrer und Gemeindereferenten obdachlos auf der Straße. Vielleicht wird eine Kirche so baufällig, dass sie abgerissen werden muss. Vielleicht, vielleicht, vielleicht…

Aber andererseits sind die Vorteile unübersehbar: Wir haben ein Thema, das jeden interessiert. Wir haben etwas noch nie Dagewesenes: Die Kirche gibt Geld zurück. Plötzlich sind Leute an ihrer Pfarrei und der Kirche interessiert, die sie seit Jahren nicht von innen gesehen haben. Christen vor Ort müssen auf ganz neue Art und Weise Verantwortung übernehmen. Und die Beschäftigung mit dem bösen Mammon zwingt Laien und Kleriker, sich die Frage zu stellen, was eigentlich wirklich wichtig ist. Wie viele Pfarrer, Pastoral- und Gemeindereferenten und andere hauptamtliche Angestellte wollen wir uns leisten? Was erwarten wir für das Gehalt, das wir bezahlen? Können wir faule Pfarrer entlassen? Werden einzelne Großspender als einflussreiche Lobbyisten Inhalte der Verkündigung diktieren? Sind die ca. 90 Prozent unserer Katholiken, die fast niemals den Sonntagsgottesdienst besuchen, bereit, für „ihre“ Gemeinde freiwillig etwas zu geben? Oder schauen sie zu, wie alles den Bach runtergeht und geschlossen werden muss? Werden Christen für Taufen oder Beerdigungen, Erstkommunionfeiern oder ein Beichtgespräch, für Serviceleistungen also, die bislang durch die Kirchensteuer abgedeckt waren, tiefer in die Tasche greifen müssen? Wie viel Geld gibt die Gemeinde an den Bischof zurück – und darf sie entscheiden, wie der es verwendet? Wie lebendig ist die Kirche ohne den wärmenden Mantel der Kirchensteuer tatsächlich noch? Lauter spannende Fragen, über die nicht länger nur spekuliert werden kann, die plötzlich relevant werden.

Ganz abgesehen davon, dass eine große mediale Aufmerksamkeit praktisch von Anfang an garantiert ist – weltweit. Mit einer professionellen und klugen Pressearbeit könnte so ein Bischof das ganze Experiment von Beginn an begleiten lassen, es transparent machen und die generierte öffentliche Aufmerksamkeit für wichtige inhaltliche Impulse nutzen. Und nach fünf oder zehn Jahren wird man sehen: Ist das Kirchensteuermodell unersetzbar? Dann wird man dafür gute Gründe gefunden haben, die seine Akzeptanz in Kirche und Gesellschaft verankern. Oder haben sich funktionierende, aufregende neue Möglichkeiten ergeben, die man sorgfältig evaluiert, um in Zukunft ganz neue Wege beschreiten zu können? Wie man es dreht und wendet: Es ist immer eine „Win-win“-Situation.

Das wäre mal ein echter Aufbruch, ein ganz neuer Weg. Die deutsche Kirche könnte aufhören, nur um sich selbst zu kreisen und ständig neue Frustrationen zu generieren. Wohl gemerkt: Katharina Westerhorstmann hat völlig recht. Der Missbrauchsskandal muss sorgfältig und in guter Weise aufgearbeitet werden. Das ist keine Frage. Aber wäre es daneben nicht Zeit, mal richtig übers Geld zu reden?


Aus: PUR-magazin 10-2020, Foto: dpa