Wir brauchen Menschen, die von Gott berührt sind

Erzbischof Fisichella zu Neuevangelisation

Ein Dichter ging an einer Baustelle vorbei und traf auf drei Steinmetze, die in ihre Arbeit versunken waren. Er wandte sich an den ersten und fragte ihn: „Was tust du da, mein Freund?“ Achtlos antwortete ihm der Steinmetz: „Ich behaue einen Stein.“ Der Dichter ging weiter und sah den zweiten, dem er dieselbe Frage stellte, und der antwortete überrascht: „Ich arbeite an einer Säule mit.“ Wenige Schritte weiter sah er den dritten und richtete auch an diesen dieselbe Frage; die begeisternde Antwort war: „Ich baue eine Kathedrale!“

Das Werk, das wir zu schaffen berufen sind, ist neu, doch der Sinn ist der alte geblieben. Viele Arbeiter sind in den Weinberg des Herrn berufen, um die Neuevangelisation zu vollbringen; sie alle werden einen Grund für ihr Engagement haben. Was ich mir wünsche und was ich gerne hören würde, ist, dass jeder auf die Frage „Was tust du da, mein Freund?“ antworten kann, dass er eine Kathedrale baut. Jeder Gläubige, der sich in Treue zu seinem Taufversprechen Tag für Tag bemüht, seinen Glauben begeistert zu bezeugen, leistet seinen originellen und einzigartigen Beitrag zum Bau dieser großen Kathedrale in der Welt von heute. Es ist die Kirche unseres Herrn Jesus, sein Leib und seine Braut, sein Volk, das beständig unterwegs ist und es nicht müde wird, allen zu verkünden, dass Jesus auferstanden, dass er ins Leben zurückgekehrt ist und dass alle, die an ihn glauben, an diesem Mysterium der Liebe Anteil erhalten werden: dem Heraufdämmern eines immer neuen Tages, der nie enden wird …

Einige Tage vor seiner Wahl zum Papst hatte Benedikt XVI. in Subiaco einen Vortrag über die Situation Europas gehalten. In dieser klarsichtigen Gegenwartsanalyse sprach er unter anderem die folgenden, weitblickenden Worte, die den Boten der Neuevangelisation als Programm dienen können: „Was wir in diesem Moment der Geschichte vor allem brauchen, sind Menschen, die Gott durch einen erleuchteten und gelebten Glauben in dieser Welt glaubhaft machen. (…) Wir brauchen Menschen, die den Blick geradewegs auf Gott richten und von dort die wahre Menschheit begreifen. Wir brauchen Menschen, deren Verstand vom Licht Gottes erleuchtet und deren Herz von Gott geöffnet wird, so dass ihr Verstand zum Verstand der anderen sprechen und ihr Herz die Herzen der anderen öffnen kann. Nur durch Menschen, die von Gott berührt sind, kann Gott zu den Menschen zurückkehren.“

Von hier geht die Neuevangelisierung aus: von der Glaubwürdigkeit unseres Lebens als Christen und von der Überzeugung, dass die Gnade wirkt und verwandelt und die Herzen bekehrt. Auch nach zweitausend Jahren Geschichte noch immer eine Herausforderung für uns Christen.

Erzbischof Rino Fisichella (Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisation)


Aus: PUR-spezial 1-2020, Foto: kavunchik/istockphoto.com